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Flux, du hast die Gans gestohlen! [Short-Story]

Flux, du hast die Gans gestohlen!
Eine Oomph! – Weihnachtsgeschichte…

Es war einmal – denn so beginnen alle Märchen – ein unscheinbares Häuschen irgendwo im Nirgendwo. Es lag nicht hinter einer bestimmten Anzahl von Bergen und es war auch keine Burg, in der ein König oder gar eine Prinzessin hauste. Nein, es war einfach nur ein Haus und niemandem, der daran vorbeiging, wäre etwas Besonderes daran aufgefallen, hätte man nicht hin und wieder das zärtliche Schrammen von E-Gitarren oder aber das herzhafte Trommeln von computererzeugten Schlagzeugen vernommen. Natürlich aber – denn sonst wären wir nicht in einem Märchen – wurde das Häuschen von einem kleinen verwunschenen Garten umrundet. Dort gab es eine Gruppe von Bäumen an denen kleine gitarrenförmige Äpfel wuchsen, daneben wuchsen in einem Beet Karotten in Form von Mikrofonen und zwischendrin wuchs die ein oder andere verwirrte Blume und fühlte sich einsam unter den seltsamen Gewächsen. Doch einsam war hier niemand, denn oft, ja wirklich, sehr oft, sah man zwei Männlein zwischen all den Seltsamkeiten frohlocken. Es waren eben diese Männlei… – nun gut – Männer, die auch für die regelmäßigen Klänge im Häuschen verantwortlich waren.

Da gab es zum einen den Mann mit der immer richtig sitzenden Frisur – nennen wir ihn Flux – und zum anderen den Mann, der sich nie für eine Gitarre entscheiden konnte – nennen wir ihn Crap. Die beiden waren aber weder Könige noch Prinzessinn… Prinzen, wie man es in einem Märchen vielleicht erwarten würde. Nein! Sie waren Musiker. Wie langweilig, mag der Eine oder Andere nun denken, doch wartet ab! Werfen wir doch einmal einen Blick in das völlig normale Häuschen mit dem verwunschenen Garten…

Ein herzhaftes und aufgeregtes Schnattern erklang an diesem Morgen im Garten des kleinen Häuschens, gefolgt von einem grummeligen Schimpfen und schnellen Schritten. Ein großgewachsener blonder Mann rannte mit weit nach vorn gestreckten Armen hinter einem weißen Federvieh her und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich. Aus der Hintertür des Häuschens trat nun ein Mann mit Glatze, der sich an den Türrahmen lehnte und die Hände in die Hosentaschen stopfte, um diese Szene skeptisch zu beobachten: „Was tust du da, Crap?“ Der Blonde blieb ertappt stehen und drehte sich zu seinem Bandkollegen um: „Ich… versuche… die Gans wieder einzufangen…“ murmelte er dann und kratzte sich dabei am Hinterkopf. Flux verstand nicht ganz: „Welche Gans?“

„Die Weihnachtsgans,“ erwiderte Crap und erblickte im gleichen Augenblick das sture Federtier hinter einem Gebüsch hervorblitzen, woraufhin er sofort zu einem Hechtsprung ansetzte. Flux trabte ihm verwirrt hinterher und sah als nächstes, wie sein Freund und Kollege auf dem Gebüsch lag, welches nun einen ziemlich platten Eindruck machte. Die Gans rannte schnatternd in Richtung der Baumgruppe. „Mist…“ murmelte es im Gebüsch. Flux beobachtete derweil amüsiert, wie Crap sich aufrappelte und sich von Blättern, Dornen und Beeren befreite: „Eine Weihnachtsgans also?“ Er sah seinen Kollegen mit ernstem Blick an…

Und da haben wir es schon: Das erste große Problem – wie es sich für ein ordentliches Märchen eben gehört. Flux, der gitarrenschwingende Vollblutrocker mit der stets glänzend polierten Glatze, war nämlich Vegetarier. Crap, der ebenso gitarrenschwingende, diese aber noch schneller wechselnde, Rocker, war eben dies nicht. Mal sehen, ob das also gut geht…

„Ja, es ist ja nicht mehr lange bis Weihnachten und ich habe sie geschenkt bekommen,“ erwiderte Crap strahlend und schwelgte in Gedanken an einen saftigen Gänsebraten. Flux jedoch wurde noch verwirrter: „Geschenkt bekommen? Wer schenkt dir denn eine Gans?“ Crap zuckte mit den Schultern: „Ein Fan. Letztes Wochenende nach dem Oomph!-Day. Du warst schon weg und eigentlich waren auch schon alle Fans weg und… auf dem Parkplatz kam eine Frau mit einem spitzen Hut und einer Hakennase… aber sie hatte ein Oomph!-Shirt an! Und sie hat mir die Gans geschenkt!“ Jetzt, wo er an die seltsame Frau zurückdachte, kam ihm das ganze doch irgendwie spanisch vor. Da er aber einer geschenkten Gans nicht in den Schnabel schauen wollte, verwarf er alle Zweifel wieder und blickte nur zu seinem immer skeptischer aussehenden Kumpel. Flux verschränkte die Arme vor der Brust und blickte seinen blonden Gitarrenkumpel finster an: „Du hast eine Gans von einem Fan geschenkt bekommen und willst sie zu Weihnachten braten?“ Crap grinste und seufzte verträumt beim erneuten Gedanken an den Weihnachtsbraten. Flux seufzte ebenfalls, jedoch eher verzweifelt: „Du kannst doch nicht einfach so diese Gans schlachten!“ „Warum denn nicht?“ fragte Crap unschuldig und vernahm im gleichen Moment ein Schnattern in seiner Nähe. Er drehte sich herum und wollte hinterher, doch Flux hielt ihn am Arm fest: „Weil sie ein lebendes Wesen ist.“
„Ja, ich brate sie doch nicht lebendig!“ Crap schüttelte den Kopf. Es wunderte ihn aber nicht, dass sein vegetarischer Kollege nicht wusste, wie man Fleisch zubereitete.
„Du wirst sie gar nicht braten, Crap,“ murmelte Flux und nahm eine autoritäre Haltung ein. Manchmal zog das – immerhin war er der Ältere. Doch Crap verzog nur das Gesicht und überlegte: „Kochen? Wir können sie auch grillen…“
„Wir?!“ Flux sah ihn empört an, als er plötzlich etwas Seltsames an seinem linken Bein spürte. Er blickte nach unten und sah einen weißen Gänsekopf, der sich zärtlich an sein schwarzes Hosenbein schmiegte und zwei schwarze Kulleraugen die beinahe verliebt zu ihm hinaufblickten. Crap sah nun ebenfalls nach unten und seufzte genervt: „Na toll, dich mag sie natürlich.“
„Ich will sie ja auch nicht essen…“ murmelte Flux, während er in die Hocke ging und über das weiche weiße Federkleid streichelte. Crap verdrehte die Augen und hockte sich ebenfalls hin: „Komm her, Gänschen…“ Doch als er seine Hand ausstreckte, schnappte die Gans danach und beinahe war ihm, als würde sie ihn anknurren. Mit triumphierendem Blick hob Flux die verschmuste Gans auf seine Arme und ging mit ihr ins Haus. Crap lief hinterher und fragte sich, was gerade schief lief…

Da es ohnehin noch eine Weile dauern würde, bis das Weihnachtsessen anstand, beschloss Crap, der Gans ein kleines Gehege im Garten zu bauen, damit sie nicht immer fortlaufen konnte. Immerhin musste er sie auch noch mästen, bevor er sie ohne großes Aufsehen von Flux zu Weihnachten verspeisen können würde. Während er also in den Baumarkt fuhr und Holz und Material besorgte, verbrachte Flux den Nachmittag mit der Gans im Studio. Aufmerksam saß das Tierchen auf einem Stuhl und lauschte den Klängen eines unfertigen neuen Songs. Dazu wippte sie mit dem Köpfchen hin und her und gab im Takt schnatternde Laute von sich. Flux beobachtete das erstaunt und versuchte es mit einem anderen Song, auf den die Gans ebenso reagierte. Beinahe war ihm, als könne er aus dem Geschnatter Worte heraushören. Über sich selbst lachend schüttelte er den Kopf. Aber aus Neugierde spielte er nun einen älteren Song von Oomph! in der Instrumentalversion ab. Dort, wo normalerweise die Stimme des ehemaligen Sängers eingesetzt hätte, begann die Gans plötzlich zu schnattern: „Schon als Kind war ich alt, war ich allen voraus…“ Vor Schreck stoppte Flux die Musik und die Gans sah ihn mit großen Kulleraugen an: „Nicht gut?“
Während der erfahrende Rockmusiker, der glaubte schon so ziemlich alles erlebt zu haben, beinahe vom Stuhl fiel, blickte er der Gans ins Gesicht: „Du sprichst???“ Sie wackelte kurz mit dem Kopf und sagte dann: „Natürlich. Du sprichst doch auch.“ „Ich bin ja auch ein Mensch,“ erwiderte Flux und hatte sein Gleichgewicht mittlerweile wiedergefunden. Doch die Gans seufzte nur: „Ja und? Ich bin eine Gans.“
„Aber Gänse sprechen doch nicht!“ krächzte Flux und fasste sich an die Stirn, um zu fühlen, ob er vielleicht Fieber hatte. Die Gans flatterte kurz mit den Flügeln und setzte sich wieder bequem hin: „Ich bin eine verzauberte Gans. Ich war mal Sänger. Aber eine böse Hexe hat mich verzaubert, damit ich keine Karriere machen kann.“ Im gleichen Moment hörte Flux, wie Craps Auto vor dem Haus parkte. Er schnappte sich das sprechende Federvieh und rannte damit zurück in den Garten, wo Crap gerade mit einigen Brettern ankam: „Sie spricht!“
„Wer?“ Crap legte die Bretter im Gras ab und wollte schonwieder zum Auto gehen, als Flux Antwort ihn zurückhielt: „Die Gans!“ Mit hochgezogener Augenbraue drehte er sich nun zu seinem Freund um und blickte von ihm zur Gans und wieder zurück. Dann seufzte er: „Flux… ich weiß, du bist Vegetarier. Ich weiß, du willst diese Gans retten. Aber ist dir ganz ehrlich nichts Besseres eingefallen?“ Flux sah die Gans hilfesuchend an: „Na los, sag was.“ Diese aber schnatterte nur und riss sich aus seinem Griff los, um wieder schnatternd durch den Garten zu rennen. Crap lachte und ging kopfschüttelnd zum Wagen, um die restlichen Dinge aus dem Baumarkt in den Garten zu bringen. Währenddessen stand Flux noch immer verdattert da und sah der Gans hinterher.

Den ganzen Tag über sprach die Gans kein Wort mehr und, während Crap ein kleines Häuschen mit einem kleinen Zaun baute, begann Flux zu überlegen, ob er vielleicht einfach überarbeitet war. Immerhin hatten sie eine stressige Zeit hinter sich. Vor wenigen Monaten hatte man sich von dem Sänger getrennt, mit dem man seit gut dreißig Jahren musizierte und danach in diversen Interviews Rede und Antwort stehen müssen. Gleichzeitig hatte man nach einem neuen Sänger gesucht und die Fans bei Laune gehalten – zum Beispiel mit einem solchen Oomph!-Day wie früher, nur eben diesmal zu zweit. Es wurde Abend und nachdem man die Gans mit vereinten Kräften eingefangen und in ihr Gehe gesperrt hatte, versorgte man das Tierchen mit Futter und Wasser, sowie gemütlichem Stroh. Anschließend verabschiedeten sich die beiden Musiker voneinander und fuhren jeder für sich nach Hause. Die Nacht brach herein und überall war es still. Nur in dem kleinen verwunschenen Garten schnatterte ein leises Stimmchen lieblich vor sich hin: „Ich bin auf Kurs… zurück… zu dir…“

Die nächsten Tage verliefen beinahe normal für die beiden Rocker. Sie trafen sich in ihrem Studio und arbeiteten an neuen Songs. Crap hegte und pflegte seine Gans, damit sie schön fett werden würde. Immer, wenn er versuchte, sie anzufassen, schnappte sie nach ihm und knurrte. Und immer, wenn er nicht da war unterhielt sie sich mit Flux über ihr Dasein als singende Gans. Während Crap sich immer mehr auf seinen Weihnachtsbraten freute, überkam Flux immer öfter der Drang, einen Psychiater aufzusuchen. Er wollte schon beinahe Dero, den ehemaligen Sänger, anrufen und nachfragen, ob er sich die alte Zwangsjacke ausleihen könnte, denn sobald sein blonder Kollege auftauchte, gab die Gans nichts als Schnattern von sich. Dann aber kam ein Tag im Dezember. Es war nur noch eine Woche bis Weihnachten und man sah Crap immer öfter mit dem ein oder anderen Rezeptbuch in der Hand im Studio sitzen. Ihm war aufgefallen, dass Flux ein wenig verwirrt wirkte, aber er schob es auf den normalen Vorweihnachtsstress. Ein neuer Sänger war noch immer nicht gefunden, doch die beiden waren sich sicher, dass es im neuen Jahr klappen würde und sie endlich wieder durchstarten konnten. Die Gans wohnte noch immer im Garten und Crap hatte den Eindruck, dass sie nicht wirklich zugenommen hatte, aber es würde schon reichen. Grade saß er mit einem Ratgeber „Wie man Federvieh richtig rupft“ im Sessel, als Flux zur Tür hereinkam: „Ich muss mit dir reden.“ Crap schlug das Buch zu und sah ihn verwirrt an: „Wenn es wegen dem Song von gestern ist, ich beharre auf meiner Meinung.“ Er grinste finster und Flux setzte sich auf einen Stuhl: „Es geht um die Gans.“
„Ach nicht schonwieder…“ seufzte Crap und verdrehte die Augen, doch Flux redete sofort weiter: „Du darfst sie nicht schlachten. Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, aber immer, wenn du weg bist, redet sie mit mir.“ Crap blickte seinen Kollegen amüsiert an: „Jaja, ich weiß… die Topfpflanze da drüben redet auch immer mit mir, wenn du nicht da bist. Sie ist eine verwunschene Prinzessin.“
„Mach dich ruhig lustig…“ seufzte Flux und stand wieder auf. „Ich werde jedenfalls nicht zulassen, dass du sie schlachtest.“ Crap zuckte mit den Schultern und griff wieder nach seinem Ratgeber, während Flux wieder in den Garten ging.

Am Abend, als Flux bereits nach Hause gefahren war, sah Crap nochmal nach der Gans, die ihn wie gewohnt anknurrte und nach seiner Hand schnappte, als er ihr Futter hinstellte. Dann begab er sich ebenfalls auf den Heimweg.

Als er jedoch am nächsten Tag den Garten betrat, fand er das Gehege leer vor. Erstaunt suchte er das kleine Holzhäuschen ab und danach den ganzen Garten. Vom Federtier keine Spur. Ihm schwante Böses, als ihm Flux‘ Worte von gestern wieder in den Sinn kamen. Er hatte doch nicht etwa…?! Grummelig nahm er sein Handy aus der Jackentasche und wählte die Nummer seines kahlköpfigen Bandkollegen, der mit gewohnt unschuldiger Stimme ans Telefon ging: „Crap? Was gibt’s? Ich bin in einer halben Stunde da.“
„Wo ist die Gans?“ fragte Crap monoton und Flux schwieg einige Sekunden: „Wie meinst du das?“
„Die Gans ist weg,“ erwiderte Crap und Flux Stimme nahm erstaunte Züge an: „Was? Oh nein,… wie ist das nur möglich?“
„Ich denke, das weißt du sehr genau.“ Crap grummelte ins Telefon, doch Flux blieb bei seiner Unschuldstour: „Ich? Nein, woher denn auch? Ich war seit gestern Abend gar nicht mehr im Studio…“

„Wenn du hungrig bist und die Jagd vermisst, dann brich aus mit mir heute Nacht…“

Crap stutzte: „Wer singt da bei dir?“ Er erkannte den Song, aber die Stimme gehörte nicht dem, der ihn ursprünglich gesungen hatte.

„Tief in der Nacht brennt das Licht, das uns unsterblich macht…“

Flux schwieg, als die Stimme weitersang. Crap stutzte: „Flux, wer singt da bei dir Oomph!-Songs?“ Nun blickte Flux am anderen Ende völlig verdattert auf sein Handy: „Du hörst das raus?“ Crap seufzte: „Flux, wir spielen in der gleichen Band, natürlich kenne ich unsere Songs.“
„Nein! Also ja, aber ich meine, du hörst die Worte?“ hakte ein völlig verwirrter Flux nach, was Crap nicht weniger verwirrte: „Er singt ja nicht chinesisch… wer auch immer das ist…“
„Das ist die Gans…“ murmelte Flux und Crap grummelte wieder: „Ach Flux, jetzt verarsch mich nicht! Bring mir meine Gans wieder und bring den Typen, der da singt, gleich mit.“ Dann legte er auf und ging verwirrt und etwas genervt ins Studio, wo Flux eine halbe Stunde später allein eintraf. Crap sah ihn irritiert an: „Wo ist die Gans? Und der Sänger?“
„Die Gans ist der Sänger,“ beharrte Flux und brachte Crap wieder dazu die Augen zu verdrehen: „Wo. Ist. Meine. Gans?“
„Sie wartet im Flur…“ murmelte Flux und hielt den aufspringenden Crap zurück: „Warte! Du musst erst versprechen, sie nicht zu schlachten!“
„Wirst du wohl endlich mit dem Irrsinn aufhören, Flux?“ erwiderte Crap ein wenig erbost und ging an ihm vorbei in den Flur: „Da ist niemand.“
„Dann ist sie sicher im Garten,“ erwiderte Flux und folgte seinem blonden Kumpel nach draußen, wo beide sich nach dem Federtier umsahen. Doch zunächst sahen sie beide nichts und blickten sich suchend um. „Spielt sie jetzt verstecken?“ murmelte Crap und Flux lachte leise: „Eins zwei drei vier Eckstein, alles muss versteckt sein?“ Bevor Crap noch darüber lachen konnte, erklang ein lautes „Augen auf, ich komme!“ hinter einem Gebüsch und die Gans kam, mit weit aufgespreizten Flügeln, auf die beiden zu gerannt. Crap blickte entsetzt auf das Tier, während Flux sich erleichtert an die Hauswand lehnte: „Na Gott sein Dank…“
„Was…“ stammelte Crap, während die Gans vor ihm hin und her wippte und Flux ihm fröhlich auf die Schulter klopfte: „Ich bin nicht verrückt!“ Er strahlte seinen Kumpel an, der jetzt an seinem eigenen Verstand zweifelte und sich zu der Gans herunterbeugte: „Das gibt’s doch nicht…“ Die Gans sah ihn aus ihren schwarzen Kulleraugen an: „Na endlich verstehst du mich! Ich dachte schon, du weichst nie auf!“ Crap wich zurück: „Was soll das heißen?“
„Du verstehst mich erst, wenn du nicht mehr den Wunsch hast, mich zu essen,“ erklärte die Gans und Crap verschränkte die Arme vor der Brust: „Aber ich will dich doch essen!“
„Nein, nicht mehr von ganzen Herzen! Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber dein supercooles kleines Rockerherz ist weicher geworden. Das verdanke ich übrigens nur deinem vegetarischen Kollegen hier,“ erwiderte die Gans und Crap fragte sich, ob sie ihm damit sagen wollte, dass er jetzt ein Weichei war: „Beleidigst du mich grad?“
„Das war ein Kompliment!“ schnatterte die Gans und rannte an ihnen vorbei ins Haus. Die beiden Musiker sahen sich verwirrt an und gingen dann hinterher bis ins Studio. Dort saß die Gans auf einem Stuhl an der Heizung: „Verdammt kalt draußen… und da wolltest du mich sogar noch rupfen!“ Sie sah Crap vorwurfsvoll an, der nun tatsächlich ein schlechtes Gewissen bekam: „Tut… mir Leid…“ Das Federtier nickte mit dem Köpfchen und sah die beiden auffordernd an: „Jetzt, wo ihr mich beide versteht, könnt ihr mir auch endlich helfen. Damit ich wieder ein Mensch werde.“ Nun sahen beide Männer verwirrt zurück, so dass das Tier sofort weitersprach: „Also… zuerst eine Klarstellung… ich weiß, im Moment ist das mit dem Gendern totaler Trend, aber… ‚die‘ Gans ist wirklich unfair… ich bin ein Gänserich.“
„Aber wir können ja nicht ‚der‘ Gans sagen,“ murmelte Crap und Flux nickte zustimmend. Der.. die… das Gans seufzte: „Ich heiße Günther!“
„Oh, nach deinem Namen habe ich ja nie gefragt, stimmt.“ Flux schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Crap nickte nur: „Ähm… hallo… Günther.“
„Hallo… Crap…“ murmelte Günther und sah ihn noch immer misstrauisch an. Flux war ihm um Einiges mehr geheuer.
„Wie können wir dir denn nun helfen?“ fragte Crap dann, um das Schweigen zu durchbrechen. Günther wackelte kurz mit den Flügeln: „Ganz einfach: Ihr müsst mit mir auftreten!“
„Was?!“ erklang es aus beiden Rockstarmündern synchron. Doch Günther setzte sofort zur Erklärung an: „Die böse Hexe hat mich in eine Gans verwandelt, damit ich keine Karriere als Sänger machen kann. Und nur, wenn ich einen echten Auftritt mit einer echten Band als Gans machen kann, werde ich zurück verwandelt.“
„Böse Hexe?“ Crap dachte sofort wieder an den vermeintlichen Fan, der ihm die Gans geschenkt hatte. Der spitze Hut und die Hakennase hatten wohl doch etwas zu bedeuten gehabt. „Die, die mir dich geschenkt hat?“
„Nein,“ erwiderte Günther. „Das war ihre Tochter. Die mag euch wirklich und weil ihr einen Sänger sucht, hat sie mich zu euch gebracht. Sie hat nur verwechselt, wer von euch der Vegetarier ist und deshalb bin ich bei dir gelandet…“ Er seufzte und putzte sich kurz mit dem Schnabel die Federn. Flux sprang auf: „Wir müssen ein Konzert organisieren! Am besten noch vor Weihnachten! Ein… ein Überraschungskonzert! Wir dürfen sowieso nicht viele Leute reinlassen wegen der Pandemie!“ Crap sah ihn skeptisch an: „Weihnachten ist in einer Woche, Flux.“
„Wir haben schon Schlimmeres gemeistert!“ erwiderte er euphorisch und Crap überlegte, was er wohl meinen könnte. Doch ihm fiel nichts ein und so zuckte er nur die Schultern: „Aber dann muss Günther alle Texte lernen…“
„Die kann ich schon,“ murmelte Günther und beide Männer sahen ihn verwirrt an. „Ich habe wochenlang mit der Tochter der Hexe in einem Zimmer gewohnt… die hört den ganzen Tag all eure Alben rauf und runter… außerdem steht sie auf dich, Blondschopf.“ Crap errötete und räusperte sich verlegen, woraufhin Flux eine Schnute zog: „Und auf mich nicht?“ Günther schüttelte das Köpfchen und Flux seufzte traurig, weshalb Crap seine Schulter tätschelte: „Na los, du organisierst eine Location und ich setzte mich an unsere Social Media Kanäle und…“ Da fiel ihm ein, dass Flux Instagram und Co eigentlich viel lieber mochte, als er selbst: „Oder lieber umgedreht?“ Breit grinsend – und ein wenig erleichtert – zückte Flux sein Handy und stürmte damit in den Garten, um zuerst eine Instagram-Story für sein eigenes Profil aufzunehmen. Dann noch ein Post, sowie eine Story und ein Post auf dem Bandprofil. Das gleiche tat er bei Facebook und anderen Portalen, während Crap alle lokalen Lokalitäten abtelefonierte und schließlich tatsächlich eine Halle fand, die noch einen Termin frei hatte – genau am Heiligen Abend. Er überlegte kurz ob seine Familie ihn köpfen oder nur flambieren würde und sagte dann doch zu. Es ging schließlich darum, einen Gänserich zu retten. Gleichzeitig machte er sich eine Notiz, dass er nun doch eine Tiefkühl-Ente besorgen musste. Aufgeregt rannte er zu Flux und teilte ihm den Termin mit. Der haarlose Gitarrist aktualisierte daraufhin fleißig alle Social Media Kanäle und kündigte eine große, singende Überraschung an. Und Günther, der nun eigentlich gar nicht so groß war, hüpfte aufgeregt flatternd zwischen den beiden arbeitswütigen Rockern hin und her…

Eine Woche später war der große Tag gekommen. Es war Abend geworden und auf Facebook hatten mehrere hundert Fans ihr Kommen durch einen Klick angekündigt. Crap und Flux hatten die gesamte Woche über mit Günther geprobt und ihm nebenbei noch ein Bühnenoutfit anfertigen lassen, dass zu ihren eigenen passte. So trug der kleine Gänserich nun eine maßgeschneiderte schwarze Lederjacke und darunter ein ebenso maßgeschneidertes schwarzes Shirt. Dazu hatte man ihm eines der Lederarmbänder mit dem Oomph!-Schriftzug und der silbernen Kette daran als Halskette angezogen. Nun stand er vor dem Spiegel im Backstagebereich und sah sich staunend an. Er war aufgeregt und am liebsten wäre er gerade davon geflattert. Aber Crap und Flux redeten ihm gut zu und beruhigten ihn. Dem Rest der Live-Band hatte man die etwas seltsame Neuigkeit bereits Mitte der Woche erläutert und alle waren nach dem ersten Schock ganz gut damit klargekommen.

So waren es eben diese Livemusiker, die die Bühne an diesem Abend zuerst betraten. Die Fans jubelten in gewohnter Manier und begrüßten Flux und Crap mit noch lauterem Jubel. Zu lange hatten sie auf Liveauftritte von Oomph! schon verzichten müssen. Während Crap vor seiner Gitarrensammlung stand und überlegte, welche davon zuerst dran war, ergriff Flux erst seine Spiegelgitarre und danach das Mikrofon: „Guten Abend,“ begann er und wurde mit erneutem Jubel bestätigt. „Wir freuen uns, dass ihr alle kommen konntet. Es ist ein besonderer Abend für uns und für jemanden, den wir euch vorstellen möchten. Wir haben es euch ja schon angekündigt. Wir treten heute zum ersten Mal mit einem neuen Sänger auf. Und da heute auch noch Weihnachten ist, hoffen wir, dass es ein… ein magischer Abend wird!“ Er überlegte kurz, ob der letzte Satz zu kitschig war, doch die Fans jubelten begeistert und einige von ihnen trugen sogar Weihnachtsmannmützen. Dann blickte er zu Crap, der sich nun auch für eine Gitarre entschieden hatte, und nickte ihm zu. Crap nickte ebenfalls und gab dem Rest ein Zeichen. Das Licht auf der Bühne ging aus und tauchte die Musiker in Schwärze. Nur Craps Gitarre leuchtete wie der Abendstern in der Weihnachtsgeschichte. Und während sie die ersten Klänge von „Das weiße Licht“ anspielten, tapsten kleine platte Füßchen langsam auf die Bühne zu einem kleinen Podest, dass man extra für ihn aufgebaut und mit einer Treppe versehen hatte. Die Fans jubelten wie immer und dann begann eine Stimme zu singen: „Dein Herz in meiner Hand… dein Blut auf meiner Haut… Du schaust in mein Gesicht, doch du siehst mich nicht…“ Die Fans lauschten der neuen Stimme und verfielen dann in erneuten Jubel, während das Licht auf er Bühne langsam wieder die bekannten Gesichter preisgab. Am Ende des Songs war nur noch der Sänger in Dunkelheit getaucht und alle Fans versuchten irgendwie einen Blick zu erhaschen, während sie jubelten und kreischten und abwechselnd von Crap oder Flux Kinder wollten. Der nächste Song wurde angespielt und Günthers Aufregung hatte sich etwas gelegt. „Seit tausend Tagen in der fremden Region maschier’n sie vorwärts, er und sein Bataillon. Dem falschen Herrn hat er die Treue geschwor’n. Noch fast ein Kind und schon die Unschuld verlor’n.“ Günther sang die erste Strophe von „Tausend Mann und ein Befehl“ und bemerkte, dass um ihn herum nun langsam das Licht heller wurde, bis es schließlich den Blick auf ihn – den kleinen Gänserich in der rockigen Kleidung – preisgab. Während er sich zwang, weiterzusingen, blickte er aufgeregt in die Menge, die ihn für einige Sekunden schweigend und mit großen Augen ansah. Dann aber brach die Musik alle Schranken und die Fans rasteten wie gewohnt aus.  Nach diesem Song sahen alle Fans gespannt zu dem neuen Sänger, der so ganz anders war, als man vermutet hatte. Dieser begann nun zu sprechen: „Hallo… ich… ich bin Günther…“ Einige Sekunden herrschte Ruhe, bis einer der Fans brüllte: „Günther!“ und fast alle in diesen Chor einstimmten. Immer wieder riefen sie ihm seinen Namen entgegen und er sah erfreut und erstaunt zu Crap und Flux, die ihm grinsend zunickten und den nächsten Song anstimmten. So verlief das Konzert wie die meisten Oomph!-Konzerte: laut, rockig und heiß. Der letzte Song des Zugabenblocks war beinahe zu Ende und während Günther voller Inbrunst die letzten Zeilen von „Supernova“ sang, bemerkte er ein seltsames Kribbeln in seinem kleinen gefiederten Körper: „Unite and take over… create a supernova… unite and take over… now I’ve got you deep inside me… unite and take over… now I’ve got you deep inside my soul…“ Und Während er sang, hörten alle anderen plötzlich auf zu spielen und starrten gebannt auf den kleinen Gänserich, der von einem goldenen Schimmer umspielt wurde und sich beim Singen langsam in die Luft erhob. Der Schimmer drehte sich und bildete einen Strudel im das weiße Tiere, dessen Form sich langsam streckte und in die Länge zog, während er noch immer in der Luft schwebte. Alle Fans und die Musiker starrten auf das, was da gerade geschah und als der Schimmer verschwand stand vor ihnen ein junger Mann in schwarzer Kleidung mit dunklen Haaren und einem verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht. Erstaunt blickte er auf seine Hände und an sich herunter. Dann griff er sich selbst ins Gesicht und tastete es ab, bevor er strahlend zu Crap und Flux sah, die mittlerweile auf ihn zugekommen waren: „Es hat… funktioniert!“ Er fiel erst Flux und dann Crap um den Hals und beide begannen fröhlich zu jubeln, was von den Fans aufgenommen wurde. Die ganze Halle jubelte dem jungen Mann zu, der die Bühne als Gans betreten hatte.

Und so kam es, dass man sich noch lange lange Jahre von dem Weihnachtswunder berichtete, das sich auf einem Oomph!-Konzert zugetragen hatte. Viele der anwesenden Fans erzählten die Geschichte weiter und niemand glaubte sie. Auf Youtube sprach man von CGI-Videos und einem schlechten Scherz. Doch die, die dabei gewesen waren, wussten, dass es wirklich geschehen war. Und so hatten zwei Rocker dafür gesorgt, dass ein verwunschener Sänger erlöst werden konnte.

Günther, die singende Gans \m/

…Und wenn sie nicht von der Bühne gefallen sind, dann rocken sie noch heute!

Story by Uta W.

Alle Songtexte by Oomph!